Schön, dass wir ein Gespräch über deinen Reformvorschlag zum Elterngeld und der Gleichstellung von Frau und Mann führen können. Wie stellst du Dir eine faire Aufteilung von Care- und Erwerbsarbeit zwischen dir und deinem Mann vor?
Judith: Mein Mann arbeitet in einem männerdominierten Berufszweig. Im Schichtmodell ist Teilzeit schlichtweg nicht vorgesehen. Es war demnach keine Option für ihn seine Arbeitszeit zu reduzieren. Zudem hatte er bei der Geburt unseres ersten Sohnes Führungsverantwortung.
Ich persönlich habe ihn immer ermutigt Teilzeit zu beantragen, damit der Arbeitsgeber gezwungen ist ein entsprechendes Modell zu entwickeln. Schließlich gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit. Das Potenzial von Vereinbarkeitsmaßnahmen wird völlig unterschätzt.
Es ist ein Teufelskreis: Die Personen in den Chefetagen sind überwiegend im alten Rollendenken gefangen und kommunizieren dies auch entsprechend im Betrieb. Solange die jungen Väter nicht aktiv Teilzeit einfordern, wird sich nichts ändern.
Zurück zu unserer persönlichen Aufteilung von Lohnarbeit, Haus- und Carearbeit: Er arbeitet Vollzeit und ich vollzeitnahe Teilzeit. Durch den Schichtdienst hat er mindestens einen Tag unter der Woche frei und kümmert sich um den Haushalt. Betreuung übernehme ich etwas mehr ca. 60:40.
Du hast eine Petition gestartet, mit der du eine bessere Unterstützung von Familien durch den Staat forderst. Mittlerweile haben mehr als 400 Personen die Petition unterschrieben. Worum geht es dir?
J: Es geht mir u.a. darum, dass es nur staatliche Unterstützung geben darf, wenn eine annähernd paritätische Aufteilung der Elternzeit erfolgt. Es wird nur funktionieren, wenn man fest zugeteilte Elterngeldmonate hat: Fünf Monate der Mann, fünf Monate die Frau. Wenn man die nicht nimmt, dann verfallen sie einfach. Man kann sie nicht übertragen, sondern sie verfallen einfach. Man würde dem Staat etwas schenken und bewusst auf Geld verzichten. Das Verständnis wäre plötzlich da, dass Väter fünf Monate in Elternzeit gehen, anstatt zwei. Es gäbe endlich keine „zwei Vätermonate“ mehr.
Für die Unternehmen ist es von Vorteil, wenn der Vater aktiv am Familienleben teilnimmt. Nicht zuletzt wegen der Kompetenzen, die er bekommt, wenn er volle Verantwortung übernimmt: Gewaltfreie Kommunikation und Resilienz.
Und auch die Paarbeziehung profitiert, da Sorgearbeit wertgeschätzt wird. Wenn man bloß die zwei Monate nimmt und davon noch einen Monat im Urlaub ist, hat man(n) nie wirklich in der Haut von jemandem gesteckt, der 100% Sorgearbeit macht. Ziel des Elterngeldes sollte sein, dass die Gleichberechtigung gefördert wird.
Absolut richtig, denn Gleichberechtigung ist im Grundgesetz verankert. Was bedeutet Gleichberechtigung für dich persönlich?
J: Eine gleichberechtigte Beziehung bedeutet nicht, dass man alle Aufgaben 50:50 aufteilt. Mann und Frau sollten über Ihre Erwartungen sprechen und gemeinsam einen Kompromiss finden, mit denen beide gut leben können. Und wenn es für eine Person nach einiger Zeit nicht mehr passen sollte, wird wieder verhandelt.
Bei uns ist zum Beispiel die Aufteilung so, dass ich diesen ganzen Mental Load mache: Klamotten einkaufen, Geburtstagsgeschenke besorgen, Geburtstagsfeiern planen, soziale Kontakte pflegen, Ehrenamt in der Kita. Das liegt mir halt einfach mehr. Er macht Hausarbeit und kocht und backt super gerne. Sachen, die ich nicht so gerne mache. Von daher: Man muss halt ganz viel kommunizieren und ausprobieren.
Wie lange warst du in Elternzeit? Was hast du dir für deine berufliche Rückkehr gewünscht und wie konntest du deine Vorstellungen umsetzen?
J: Ich war bei jedem Kind fünf Monate in Elternzeit. Trotzdem habe ich nach meiner zweiten Rückkehr diese „gläserne Decke“ auch erfahren müssen. Ich bin mit 30 Stunden zurück und wollte Führungsverantwortung übernehmen, aber dann hieß es seitens meiner Chefin: „Konzentrieren sie sich erstmal auf ihre Familie“. Das Denkmuster: Da ist eine junge Mutter, die hat so viel Careverantwortung und kriegt den Rücken eben nicht durch ihren Mann freigehalten, sodass sie im Beruf durchstarten könnte. Dieses Rollendenken ist halt immer noch da. Leider.
Was muss geschehen, damit Väter mehr Verantwortung übernehmen?
J: Mit einem gesetzlichen Anspruch auf eine 10-tägige Bildungszeit nach der Geburt könnte man jede Menge erreichen. Die Väter würden an die Sorgeverantwortung behutsam heran geführt und auch Themen wie gleichberechtigte Aufteilung von Haushalt etc. könnte Thema sein. Die Väter könnten in ein Netzwerk bereits vor der Geburt einsteigen und danach für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes bleiben oder freiwillig darüber hinaus. Die Väter können sich untereinander austauschen. Das wäre ein großer Game Changer.
Wo siehst du bei deinem Arbeitgeber dringenden Handlungsbedarf?
J: Wir haben zwar das Gütesiegel familienfreundlicher Arbeitgeber, aber familienfreundlich heißt eben nicht Vereinbarkeit. Es fehlt die Chancengleichheit. Junge Frauen und Mütter landen oft auf den Abstellgleis.
Arbeitgeber sollten die Familie dabei unterstützen Sorgearbeit paritätisch aufzuteilen. Also Väter ermutigen Elternzeit zu nehmen und Frauen über die Risiken einer langen Elternzeit und anschließender Teilzeit aufklären und durch Vereinbarkeitsmaßnahmen unterstützen.
Was muss sich deines Erachtens noch ändern?
J: Das Thema Rollenklischees und Gleichberechtigung kommt in den Bildungseinrichtungen viel zu kurz! Da muss man schon in der Kita ansetzen: Jeder darf das anziehen, was er will. Jeder darf den Beruf ausüben, den er will. Jungs können genauso fürsorglich sein wie Mädchen. Mädchen dürfen laut und frech sein.
Zudem muss endlich die Rosa-Hellblau-Werbung verboten werden! Das widerspricht dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit! Das ist einfach nur Gehirnwäsche und eines demokratischen Staates unwürdig.
Wie möchtest du dich politisch engagieren und was sind deine Ideen bei den Grünen Darmstadts?
J: Auch auf der Kommunalebene kann man in ganz vielen Bereichen etwas tun, z.B. wenn es darum geht Angebote für Familien, Kinder und Jugendliche zu schaffen.
Am Abend während vieler Vereinsveranstaltungen steht bei uns Zubettgehen auf dem Plan. Besser wäre es einen regelmäßigen Lunch-Talk bei den Grünen in Darmstadt zu etablieren, damit Sorgetragende auch eine Chance haben sich einzubringen. Toll finde ich das Format „Politik & Spielplatz“. Man trifft sich ab 15:30 Uhr auf dem Spielplatz. Kind ausdrücklich willkommen!
Wenn ich konkrete Verbesserungen vorschlagen sollte, würde ich vielleicht sagen, dass man die Kitas als Familienzentrum ausbaut. In unserer Kita haben wir Leute reingeholt, die dann zum Beispiel etwas über bedürfnisorientierte Erziehung reden. Und das finde ich total wertvoll, dass die Familie nicht immer irgendwo hingehen muss, um zu konsumieren.
Was verstehst du unter den Begriffen ‚regretting motherhood‘ und ‚mutlose Mädchen‘?
J: Ersteres hatten wir vor allem bei unserem ersten Sohn. Die Aufteilung zwischen meinem Mann und mir lief nicht so gut, da habe ich gedacht: „Will ich wirklich ein zweites Kind bekommen?“ Wenn es annähernd paritätisch läuft, fällt ‚regretting motherhood‘ in meinen Augen weg. Das Phänomen mutlose Mädchen finde ich ganz traurig. Die Mädchen bekommen früh mit, welche hohen Erwartungen an Mütter gestellt werden und wie die eigene Mutter mental und körperlich daran kaputt geht. Sie denken sich: Das erwartet mich also in der Zukunft?! Da habe ich überhaupt keine Lust drauf.
Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Wie können Frauen und Männer besser aufgeklärt und vorbereitet werden?
J: Wir sollten bereits in den Schulen mehr aufklären, auch was Elternsein überhaupt bedeutet. Am besten wäre ein Pflichtpraktikum in einem sozialen Bereich für beide Geschlechter, um zu erfahren, was es bedeutet für ein Lebewesen (mit)verantwortlich zu sein.
Vielen Dank für das nette Gespräch, liebe Judith!
Das Interview führte Hanna Dude.
Fotocredit: www.zeit.de